Weniger ist mehr - Montessori-Expertinnen Simone Davies und Junnifa Uzodike im Interview

GRIMM'S: Werdende Eltern wollen alles richtig machen, vor allem beim ersten Kind. Von allen Seiten wird ihnen gesagt, dass sie jetzt dieses und jenes brauchen, um optimal auf die Ankunft des neuen Familienmitglieds vorbereitet zu sein. In „Das Montessori Baby“ schreibt ihr jedoch das Gegenteil. Da steht „Babys brauchen nicht so viel“. Und in „Montessori für Eltern“ heißt es ebenfalls „weniger ist mehr“. Könnt ihr diesen Aspekt noch etwas näher erläutern?

Ganz genau. Wir können unser Zuhause bewusst mit weniger Spielzeug einrichten und stattdessen nur eine Hand voll gut ausgewählter Aktivitäten zeigen. Diese Aktivitäten basieren auf dem, wofür sich unser Kind nach unserer Beobachtung interessiert und was es gerade übt.
Wenn es weniger zur Auswahl gibt, fällt es viel leichter, eine Wahl zu treffen. Das ist so, als ob man in einen Supermarkt geht und eine unbegrenzte Auswahl an Frühstücksflocken hat - das kann sehr überwältigend sein. Wenn wir nur eine kleine Auswahl an Dingen haben, die wir mögen, fällt es uns leichter, eine für uns gute Wahl zu treffen. Für unsere Kinder ist es genau dasselbe. Wenn sie weniger Auswahl haben, können sie sich länger auf diese Aktivitäten konzentrieren, da es weniger Ablenkungen gibt, und sie haben mehr Möglichkeiten, ihre eigenen kreativen Lösungen zu finden, denn Begrenzung führt zu Kreativität.

GRIMM'S: Wenn man euren Rat befolgt, kann man auf jeden Fall eine Menge Geld sparen! (Wenn ich das nur vorher gewusst hätte! :-D) Idealerweise sollte man diesen Betrag in Qualität und - wie ihr schreibt - in eine „natürlichere Version“ investieren. Warum ist der natürliche Aspekt so wichtig? Glaubt ihr, dass Babys, Kleinkinder und Kinder bereits ein Gespür für natürliche Materialien haben, wie z.B. unbehandeltes Holz im Gegensatz zu geformtem Holz oder gar Kunststoff?

Wir wählen gerne ein paar hochwertige Materialien aus. Diese halten länger, sind nachhaltiger, können an zukünftige Familienmitglieder oder Freunde weitergegeben werden und sind schön zum Erforschen. Kinder unter 6 Jahren lernen mit allen Sinnen und machen ihre Entdeckungen über den Tastsinn, den Geruch, das Gehör, den Geschmack und das, was sie sehen. Natürliche Materialien wie unbehandeltes Holz geben ihnen viele sensorische Rückmeldungen - das Gewicht, die Textur und sogar die Wärme des Materials können vom Kind wahrgenommen werden und sind auch optisch ansprechend. Wir wissen auch, dass kleine Kinder gerne mit dem Mund erforschen, und diese natürlichen Materialien sind sicher, um sie auf diese Weise zu erkunden.

GRIMM'S: Im ersten Lebensjahr erhalten Babys ständig neue „Updates“. Sie sind bald in der Lage, selbst zu entscheiden, ob und mit welchen der angebotenen Spielmaterialien sie interagieren wollen. Könnt ihr einige Empfehlungen für das erste Montessori-Regal des Babys geben? Was können junge Eltern ihren Sprösslingen anbieten?

Wenn ein Baby auf einer Matte liegt, um zu üben, seinen Körper zu strecken, nach den Zehen zu greifen, zu rollen, zu rutschen und zu krabbeln, können wir ein niedriges Regal oder einen Korb mit einigen attraktiven Materialien bereitstellen, aus denen es auswählen und erforschen kann. So können sie leicht darauf zugreifen (anstatt sie unerreichbar in einer Spielzeugkiste aufzubewahren).
Sie werden mit ihren Händen vertraut, so dass wir einige Rasseln bereitstellen können, die zum Greifen und zu verschiedenen Handbewegungen einladen. Bälle unterschiedlicher Größe und Beschaffenheit laden ebenfalls zur Erkundung ein und fördern die Geschicklichkeit. Sie können auch zum Schlittern und Krabbeln anregen, wenn sie wegrollen. Zylinder sind aus diesem Grund ebenfalls eine gute Wahl. Sie rollen weg, aber nicht zu schnell oder zu weit, damit das Baby Erfolgserlebnisse beim Hinterherkrabbeln und Zurückholen haben kann.

GRIMM'S: Und worauf sollte man besser verzichten und warum?

Es gibt viele Spielzeuge für Babys, die aktiv sind und auf die wir lieber verzichten. Das sind Spielzeuge, die oft singen, blinken, piepsen und Geräusche machen. Bei solchem Spielzeug wird das Kind eher durch das Spielzeug unterhalten, als dass es aktiv daran teilnimmt. Wir können stattdessen nach passivem Spielzeug suchen, das dem Kind erlaubt, aktiv zu sein. Das Baby kann Entdeckungen machen oder neue Wege finden, das Spielzeug zu bedienen. Babys lernen durch aktive Erfahrungen und durch Handeln, anstatt unterhalten zu werden.

GRIMM'S: In dem Buch „Montessori für Eltern“ lernen wir, dass Montessori-Aktivitäten einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben und dass wir das Kind ermutigen sollten, die Spielmaterialien wieder an ihren ursprünglichen Platz zu legen, wenn die Aufgabe beendet ist. Was aber ist zu tun, wenn ein Kind zum Beispiel mit Bauklötzen eine kleine Spielwelt geschaffen hat? Sollte auch diese weggeräumt werden, oder sollte man sie dort lassen, wo sie ist, damit das Kind später damit spielen kann?

In einem Montessori-Klassenzimmer haben die meisten der Aktivitäten, die wir den Kindern anbieten, einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Es wählt eine Aktivität aus dem Regal aus, spielt damit und stellt sie am Ende wieder zurück, wenn es fertig ist und für ein anderes Kind bereit ist. Bei uns zu Hause können wir das Zurückräumen lockerer handhaben, z. B. indem wir alles vor der Brotzeit, dem Mittagessen oder dem Schlafengehen wegräumen. Wenn unser Kind eine kleine Spielwelt mit Bauklötzen gebaut hat, können wir es fragen, ob es sie für später aufbewahren oder wegräumen möchte. Oder wenn wir es wegräumen müssen, um Platz für den Rest der Familie zu schaffen, können wir ihm anbieten, ein Foto davon zu machen, um es festzuhalten, bevor wir es wegräumen.

GRIMM'S: Das ist eine schöne Idee! Und wie gehen wir damit um, wenn das Kind die Spielmaterialien aus verschiedenen Montessori-Schalen kombiniert, um seine eigene Spielidee zu verfolgen?

In einem Montessori-Klassenzimmer haben viele der sensorischen Materialien Verbindungen und es ist spannend, wenn die Kinder diese Verbindungen entdecken. Wir beobachten sie wie immer, um zu verstehen. Oft machen sie Verbindungen und Entdeckungen, an die wir vielleicht gar nicht gedacht hätten. Andere Aktivitäten, die auf Tabletts für bestimmte Tätigkeiten aufgebaut sind, werden im Allgemeinen nicht kombiniert. Zu Hause können wir das Erforschen und Kombinieren verschiedener Materialien auf jeden Fall unterstützen, da die Kreativität des Kindes zum Vorschein kommen kann und es vielleicht tolle Entdeckungen macht. Wir können auch dazu ermutigen, die Materialien wieder zu verwenden, wenn das Kind mit seiner Erkundung fertig ist.

GRIMM'S: In „Montessori für Eltern“ gibt es ein Kapitel mit dem Titel „Was ist mit Nicht-Montessori-Spielzeug?“. Darin werden unter anderem Holzbausteine für das offene Spiel empfohlen. Warum sind sie so wertvoll?

Bauklötze aus Holz ermöglichen Kreativität, Zusammenarbeit, Gleichgewicht, Gestaltung und jede Menge Spaß. Es gibt unendlich viele Kreationen, die unsere Kinder mit Bauklötzen bauen können. Was wir als Erwachsene vielleicht für den Bau einer Straße halten, kann zu einer Eisenbahnstrecke, einem Supermarkt, einem Spielplatz, einem Bauernhof oder einer Kirche werden. So können unsere Kinder Dinge, die sie in ihrem realen Leben gesehen haben, aufgreifen und auf der Grundlage dieser Ideen ihre eigenen Kreationen schaffen. Manchmal werden die Klötze auch einfach nur benutzt, um aufeinander zu balancieren oder um Mauern oder andere Konstruktionen zu bauen. Es gibt so viel zu lernen und zu spielen, dass es Spaß macht.

GRIMM'S: In dem oben erwähnten Kapitel heißt es auch, dass Kinder, die eine Montessori-Schule besuchen, zu Hause die Möglichkeit haben sollten, „(...) unstrukturiert zu spielen, Gelegenheiten zu schaffen, Zeit im Freien zu verbringen und sich auszuruhen“. Warum sind diese Dinge zusätzlich zu den Montessori-Aktivitäten so wichtig?

Wir sagen gerne, dass das beste Geschenk, das wir unserem Kind machen können, das Geschenk der Zeit ist. Wenn wir dem Kind große Zeitblöcke ohne Unterbrechung zugestehen, hat es Zeit, sich zu langweilen und auf die kreativsten Ideen zu kommen. Sie haben Zeit, sich in der Natur aufzuhalten und mit ihr in Verbindung zu treten, was ein Gegenmittel gegen die überplante, hektische Welt vieler Kinder von heute sein kann. Sie können auf einen Baum klettern, Steine für eine Natursammlung sammeln, ihre Schuhe und Socken ausziehen, um mit den Füßen in den Schlamm oder in einen Bach zu gehen, oder ein Mandala aus gefundenen Schätzen gestalten. Und die Ruhe ermöglicht es dem Körper und dem Geist, sich zu erholen, zu träumen, die Wolken zu beobachten und dem Nervensystem zu helfen, sich zu entspannen und zu erholen. Um wieder zu sich selbst zu finden.

GRIMM'S: Bleiben wir gegen Ende unseres Interviews beim Thema Spielzeug. In eurem neuesten Buch „Dein Montessori Kind“ für Kinder von 3 bis 12 Jahren geht es auch um Spielmaterial. Ihr empfehlt, Spielzeug zu wählen, „das mit unserem Kind mitwächst, Gegenstände, die im Laufe der Zeit weiterverwendet werden können, die auf eine neue Art und Weise verwendet werden können (...).“ Habt ihr eine Empfehlung für unsere Leser? Welche Anschaffungen lohnen sich in der Baby-, Kleinkind- und Kinderzeit wirklich?

Ja, wir lieben es, Aktivitäten zu finden, die langlebig sind und die unser Kind weiter benutzen kann, während es wächst. Wir lieben das Klang- und Farbrad für Babys - wenn sie Babys sind, werden sie begeistert sein, es zu bewegen, die Geräusche zu hören und immer wieder zu wiederholen. Wenn sie zu Kleinkindern werden, lassen sie es gerne rollen, versuchen, einige Rhythmen damit zu machen, und lernen spielend die Farben. Ältere Kinder kommen gerne zum Laufrad zurück, um zu sehen, wie es funktioniert. Sie können eine Rampe bauen, andere Farben finden, die die gleichen sind wie auf dem Rad, oder es als Instrument in ihrer Band verwenden.

Auch der große Kistensatz Regenbogen wächst mit unserem Kind mit. Als Kleinkinder lieben sie es, die Schachteln ineinander zu schachteln und Türme zu bauen, indem sie nach und nach einen Turm errichten. Mit zunehmendem Alter lernen sie, die Schachteln nach Größe zu sortieren - groß und klein, größer und kleiner, am größten und am kleinsten. Die Farben können zum Sortieren von Gegenständen oder als Teil eines größeren Werks, das sie bauen, verwendet werden. Sie können sogar für akademische Erkundungen wie Messen, Volumen, Fläche usw. verwendet werden. Auch für ältere Kinder ist das Bauspiel Ammonit ein schönes und anspruchsvolles Puzzle für ältere Kinder. Wenn es fertig ist, sieht es aus wie ein Kunstwerk, bei dem sich die Teile zu einer wunderschönen Spirale zusammenfügen. Die Kinder haben auch Spaß daran, die Teile auf kreative Weise zum Bauen zu verwenden.

GRIMM'S: Letzte Frage: Können die Montessori-Prinzipien auf ein ganzes Menschenleben angewandt werden oder endet es an einem bestimmten Punkt? Wird es nach dem Montessori Baby, dem Montessori Kleinkind und dem Montessori Kind auch den Montessori Teenager und den Montessori Erwachsenen geben?

Die Montessori-Prinzipien können in jedem Alter angewendet werden. Wir sagen immer, dass es nie zu früh ist, mit Montessori anzufangen, und dass es nie zu spät ist, damit zu beginnen. Wir hoffen, dass unsere Bücher zu schönen Leitfäden für Familien werden, um die Montessori-Prinzipien in ihrem Zuhause anzuwenden.
„Das Montessori Baby“ behandelt die Zeit von der Empfängnis bis zum ersten Jahr, in dem wir lernen, die Entwicklung unseres Babys zu beobachten und zu verstehen, wie wir es unterstützen können; „Montessori für Eltern“ behandelt die 1 bis 3-Jährigen und zeigt uns, wie brillant Kleinkinder sein können und wie man mit Wutanfällen und Kooperation umgeht; und „Dein Montessori Kind“ ist ein Leitfaden für Kinder von 3 bis 12 Jahren, der uns zeigt, wie wir die Montessori-Prinzipien weiterhin anwenden können, wenn unsere Kinder in die Vorschul- und Schulzeit kommen. „Dein Montessori-Kind“ enthält auch ein umfassendes Kapitel über die Pubertät, damit wir auf die kommenden Jahre vorbereitet sind.
Jedes der Bücher enthält ein Kapitel über den Erwachsenen, da wir ein so grundlegender Teil der Umgebung der Kinder sind und wie wir uns vorbereiten können. Die Montessori-Prinzipien werden jetzt auch in der Altenpflege eingesetzt, damit unsere älteren Menschen noch viele Jahre lang fähig und unabhängig bleiben. Montessori kann wirklich in jedem Alter und in jeder Phase angewendet werden.